Die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zu erhalten ist oftmals mit ambivalenten Gefühlen verbunden. Einerseits kann es sehr erleichternd sein die Symptome und das daraus resultierendes Leid benennen zu können und so einen besseren Zugang zur eigenen inneren Realität zu bekommen. Andererseits kommt diese Diagnose mit zahlreichen Vorurteilen daher, die es schwer machen können diese zu akzeptieren: „Manipulativ.“ „Beziehungsunfähig.“ „Dramatisch.“ „Unheilbar.“ – Schubladen statt Verständnis für und Interesse am Menschen dahinter – so als wäre mit der Diagnose bereits alles gesagt.
Keine psychische Erkrankung ist frei von Stigma, doch besonders Borderline-Betroffene und deren Angehörige scheinen überdurchschnittlich mit Mythen, Vorurteilen und Missverständnissen konfrontiert zu sein – und das bleibt nicht ohne Konsequenzen. Denn jedes Vorurteil ist auch eine Vorverurteilung. Manche Betroffene schämen sich so sehr, dass sie die Diagnose wie ein schmutziges Geheimnis hüten. Andere geben auf, professionelle Hilfe zu suchen – nicht zuletzt, weil Borderline auch im Gesundheitssystem oft mit Skepsis betrachtet wird. Einige Angehörige wiederum fühlen sich schuldig und bleiben mit ihrer Verzweiflung allein, aus Angst, was ihnen vorgeworfen würde, wenn sie offen über ihre Sorgen sprechen. Auch Fachkräfte stehen vor Herausforderungen: Einige Patient*innen begegnen ihnen misstrauisch, andere haben das Stigma so sehr verinnerlicht, dass sie glauben, keine Hilfe zu verdienen oder ohnehin „hoffnungslos“ zu sein.
Egal was die Konsequenz im Einzelfall sein mag – Vorurteile sind weder allgemeingültige Wahrheiten noch zuverlässige Prognosen. Sie wurzeln in Halbwissen, negativen Einzelerfahrungen und gesellschaftlichen Erzählungen. Selbst wenn einige Vorurteile einen „wahren Kern“ haben mögen, so übersehen sie doch immer das Wesentliche: die Individualität eines jeden Menschen. Sie reduzieren komplexe Persönlichkeiten auf einfache Schlagworte und übersehen, dass Borderline letztlich eine erlernte, einst notwendige, Überlebensstrategie ist. Doch selbst wenn diese Strategie heute Probleme und Leid – vor allem für Betroffene – auslöst, definiert sie nicht den Menschen dahinter. Und ebenso wenig werden Angehörige durch ihre Beziehung zu Betroffenen oder Fachkräfte durch ihren Job definiert. Das Stigma vermittelt Gegenteiliges. Es steht der Kommunikation im. Weg, verhindert gegenseitiges Verständnis und erschwert den Zugang zu Hilfe.
Doch das muss nicht so bleiben, denn durch eine bewusste Auseinandersetzung mit Borderline, können wir Stereotypen als solche erkennen und an ihnen lernen. So können wir nicht nur dem Stigma etwas entgegensetzen, sondern auch zu einem differenzierteren und verständnisvolleren Blick auf uns selbst, unsere Liebsten oder unseren Patient*innen gelangen.
Da aktuell unser Family-Skills Kurs stattfindet, veröffentlichen wir begleitend dazu Texte die thematisch aus dem Kurs inspiriert sind. So möchten wir einen Einblick in die Inhalte des Kurses geben, die für Teilnehmende und Nicht-Teilnehmende gleichermaßen interessant sein könnten.