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„Je größer der Dachschaden, desto freier der Blick in die Sterne?“ – Der 3. Präsenz-Trialog zu psychischen Erkrankungen im Vitos Klinikum Bad Soden

Die Auseinandersetzung mit psychischer Erkrankung bleibt oft einseitig und so gut wie nie frei von Klischees: Mal werden sie ausschließlich als tragische Schicksale, bemitleidenswert und am Rande der Gesellschaft inszeniert. Mal werden sie romantisiert und verklärt als Ausdruck besonderer Tiefe, Kreativität oder Sensibilität dargestellt. Die Realität psychischer Erkrankungen ist jedoch sehr individuell, geradezu hochkomplex und bewegt sich irgendwo zwischen diesen Extremen. In dieses Spannungsfeld fällt auch der Spruch, der den Einstieg in den Trialog am 3. April 2025 bildete: „Je größer der Dachschaden, desto freier der Blick in die Sterne.“

Der Spruch regte die Teilnehmenden auf vielfältige Weise zum Nachdenken an, weshalb im Laufe des Gesprächs auch verschiedenste Themen in den Fokus rückten. Zunächst beschäftigte uns die Frage, welche Belastungen und welche Chancen eine psychische Erkrankung mit sich bringen kann. Einige Betroffene äußerten, dass sie einige Aspekte, die ihre Erkrankung mit sich bringt, wie beispielsweise intensives Fühlen, nicht missen möchten. Dem schlossen sich auch Angehörige an, die eben diese Qualitäten besonders schätzen und – im Sinne des Spruchs – als „Sterne“ beschrieben. Es wurde auch geäußert, dass einer Gesellschaft ohne diejenigen mit „Dachschaden“, großartige Leistungen, viel Einzigartigkeit, Kreativität und Inspiration fehlen würde: Die Welt wäre trister. Doch auch aus diesem Blickwinkel heraus, konnten die Anwesenden anerkennen, dass diese Qualitäten auch Leid und Beeinträchtigungen mit sich bringen. Neben einzelnen Symptomen betonten Betroffene, Angehörige und Profis, dass das unvorhersehbare „Auf und Ab“, bedingt durch episodische Verläufe oder Instabilität von Gefühlen und Selbstwert, besonders herausfordernd sei. Es zeichnete sich ab, dass es keine allgemeingültige Antwort darauf gibt, wie wir psychische Erkrankungen wahrnehmen. Klar wurde jedoch, dass die Antwort nicht in den Extremen liegt, sondern irgendwo zwischen „Schwarz und Weiß“, selbst wenn der Grauton phasenweise, perspektivisch und individuell, etwas dunkler oder heller sein mag.

Auch den Umgang mit Humor diskutierten wir: Wann kann er hilfreich und wann verletzend sein? Und wie verhält es sich mit Begriffen wie „Dachschaden“?  Einige schilderten, Humor helfe ihnen, um Abstand zu schaffen und ein wenig Leichtigkeit im Umgang mit der Erkrankung zu gewinnen. Besonders im Selbstbezug kann Humor selbstermächtigend („empowernd“) wirken und helfen, Erfahrungen einzuordnen und zu verarbeiten. Schwierig ist Humor hingegen dann, wenn Betroffene ihn selbstabwertend nutzen oder den Ernst der Erkrankung herunterspielen und sich gewissermaßen selbst invalidieren.

Über den Begriff des „Dachschadens“ gelangten wir dann schließlich zur Frage, wovon abhängt, ob wir vermeintlichen Humor als tröstlich, relativierend oder sogar stigmatisierend erleben. Besonders viel Zustimmung erfuhr die Ansicht, dass der spezifische Kontext, die Situation und die jeweilige Beziehung darüber entscheiden, wie eine Aussage auf die Beteiligten wirkt. So erlangt das Wort „Dachschaden“ geradezu eine neue Bedeutung, je nachdem ob es im Streit gegenüber der depressiven Ehefrau fällt oder am Mittagstisch der Klinik als Insider genutzt wird. Insbesondere Begriffe die eine Geschichte als Abwertung mit sich bringen können stark verletzen und stigmatisierend sein, wenn sie von außen kommen. So kann ein und dieselbe Aussage wertschätzend und tröstlich, aber auch anmaßend, relativierend oder kränkend erlebt werden, selbst wenn die Intention dahinter eine gute sein mag.

Die Überlegung, dass es durchaus hilfreich sein kann, wenn nicht Erkrankte signalisieren, dass sie sich in Betroffene einfühlen können, weil sie selbst auch „ihr Päckchen zu tragen haben“ wurde kritisch hinterfragt. Einige betonten, dass nicht jede Vergleichbarkeit hilfreich ist, auch wenn sie Verbindung herstellen und Ausdruck von Empathie sein kann. Dennoch kann eine solche Aussage verharmlosend und invalidierend sein, wenn hierbei Unterschiede in der „Größe der Päckchen“ übersehen werden. Das kann dazu führen, dass sich Betroffene nicht ernst genommen fühlen. Dennoch konnten die Anwesenden anerkennen, dass es nicht eine psychische Erkrankung bedarf, um Schmerz oder Leid erfahren zu haben. Betont wurde in diesem Kontext, dass Belastung und Ressourcen sehr ungleich verteilt sind und viel mit Glück zu tun haben. Letztendlich kann aber jeder Mensch, als Expert*in für die eigene Erkrankung neue Fähigkeiten erlernen, die den Umgang mit der psychischen Belastung erleichtern. So kann jede*r – im Sinne des Spruchs – die Substanz des eigenen Hauses stabilisieren, sodass es sich hier auch trotz „Dachschaden“ leben lässt und der Blick auf die Sterne dennoch frei bleibt.